Auf meinem Weg zur Schule traf ich einen ehemaligen Schüler. Wir freuten uns, einander nach vielen Jahren wieder zu sehen. Nach einigen belanglosen Höflichkeiten fragte er mich, ob ich immer noch am GRG 21 in der Franklinstraße 21 unterrichten würde. Als ich bejahte, wollte er wissen, ob es nicht langweilig sei, immer das Gleiche zu tun. »Nein«, antwortete ich, »ganz und gar nicht. Ich unterrichte ja keine Gegenstände, sondern Schülerinnen und Schüler. Der Unterrichtsstoff ist doch nur Anlass, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.« Ich kam in Fahrt. Wie konnte man meinen Beruf so verkennen. Auch von der fachlichen Seite besehen war er spannend. Mit meinen SchülerInnen konnte ich im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt sprechen. Vom Urknall bis zur Intelligenz des Menschen reichte das Spektrum der Themen, von der Schwerkraft bis zur Halbleitertechnik, vom Wasserstoff bis zur DNA. In meinen Fächern explodierte die Menge des Wissens regelrecht. In der Biologie ging es um das Leben selbst und um Fragen des Überlebens. Wie konnte das nicht spannend sein? Und kann jemand, der von Physik und Chemie nichts weiß, ein funktionierendes Weltbild haben? Wohl kaum. Ich verteidigte mein Tun meinem Exschüler gegenüber zehn Minuten lang, so lange dauerte nämlich die Fahrt von meinem Wohnort nach Wien Floridsdorf. Dann verabschiedete ich mich und stieg aus. Er blieb im Zug, als Schaffner zwischen Stockerau und Wien Meidling.
Ich verbrachte mein ganzes Berufsleben an dieser Schule und mir wurde nie langweilig. Die SchülerInnen, Direktoren, Eltern und KollegInnen sorgten für Spannung in meinem Leben. Die Reihung entspricht dem Grad ihrer diesbezüglichen Wirkung auf mich. Den Einfluss diverser BildungspolitikerInnen konnte ich ausblenden.
Wenn ich heute, da ich schon einige Zeit im Ruhestand bin, auf meine aktive Zeit als Lehrer und Kollege zurück denke, entstehen hauptsächlich bunte Bilder in freundlichen Farben vor meinem geistigen Auge. Die vielen schlechten Erlebnisse, die mir natürlich auch nicht erspart blieben, habe ich umgewandelt. Sie wurden in die aktualisierte Version meines Betriebssystems eingebaut. Darum werden sie in diesem Buch nicht ausdrücklich erwähnt. Wovon ich aber schreibe, sind die zahllosen netten oder sogar freundschaftlichen Begebenheiten zwischen den Schülerinnen und Schülern und mir. Ich bedanke mich bei ihnen für fast 38 Jahre, in denen sie neben meiner Familie Mittelpunkt meines Lebens waren.
Wo soll ich also beginnen? Mit dem Anfang werden Sie sagen. Aber wo wollen wir diesen Anfang festsetzen, oder gibt es einen naturgegebenen? Einigen wir uns auf den Urknall, den Big Bang, wie die These von der Entstehung der materiellen Welt spaßeshalber genannt wurde, um sie zu verspotten. Nun habe ich in meiner Tätigkeit als Prüfer mehr als eine unmögliche These hören oder lesen dürfen, bei der sich der Spaß eigentlich hätte aufhören müssen. Er hat sich aber nicht aufgehört, weil ich immer einen Notizblock dabei hatte, um Merkenswertes zu notieren. Diese bisherigen Anekdoten breite ich hier vor Ihnen aus. Das Wort Anekdote kommt vom griechischen anekdotos und bedeutet ›noch nicht herausgegeben‹. Was ich also tatsächlich vor Ihnen ausbreite sind meine Erinnerung, meine Zitatensammlung und einige Geschichten, die ich daraus gemacht habe.
Im Unterricht wollte ich mit den SchülerInnen den Anfang des materiellen Alls besprechen. Da ich meinte, vierzehnjährige Gymnasiasten müssten doch schon einiges über den Urknall wissen, fragte ich sie danach. Aber alle blickten nur ruhig in Erwartung der Dinge, die da kommen mochten. Genau so würde ich den Beginn vom Beginn pantomimisch darstellen, nichts als gespannte Ruhe und stille Vorfreude. Auf meine zweite Aufforderung hin, doch etwas über den Begriff Urknall zu sagen, meldete sich endlich Bernhard mit den Worten: »Meine Schwester hat einen Urknall!«