Professor Wunderlich fastet

»Sie werden es nicht glauben«, sprach Professor Wunderlich einen Herrn an, der sich auf einer Parkbank zu ihm gesetzt hatte, »aber ich faste. Nicht nur weil Fastenzeit ist, auch nicht auf ärztlichen Rat hin oder weil es alle tun. Nein, ich faste aus Überzeugung, aus der Überzeugung heraus, dass es mir gut tut. Ich bin ja kein Herdenmensch, ich neige nicht dazu jeden Trend sofort unkritisch mit zu machen.« Sein Banknachbar dachte nicht im Traume daran Wunderlich zu widersprechen. »Das sollte eigentlich normal sein, weil Menschen zum Unterschied von Schafen und Rindern keine Herdentiere sind. Dennoch fühlen viele so etwas wie Gruppendruck. Wenn die Freunde wellnessen, nessen sie auch well. Ich bin da nicht so. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass das Wort Fasten vom festen Halten der Gebote kommt. Mit Essensabstinenz hatte das ursprünglich nichts zu tun. Aber wer akzeptiert heute noch Gebote? Wen akzeptieren wir heute noch als unseren Gebieter? Die Leute fragen sich doch, wer bietet mir was für mein Fasten. Den Vorteil dieser Aktion wollen sie sehen. Ich sehe ihn im Heilfasten. Ganzheitlich.« Eigentlich, Sie, liebe Leserinnen und Leser, sollten Sie darüber nicht im Unklaren gelassen werden, eigentlich fastete der Professor noch nicht so lange. Er hatte sich erst nach dem Frühstück dazu entschlossen. Er hatte ein Englisches Frühstück. Sicher werden Sie jetzt fragen, was einen Österreicher an einem Englischen Frühstück reizt. Dazu müssen Sie wissen, Wunderlich war noch nie ein Marmeladetiger. Süßes zum Frühstück, ein Butterkipferl mit Honig zum Beispiel oder ein Gugelhupf, reizte ihn nicht. Am Beginn eines Tages stand für ihn ein Glas Orangensaft. Porridge überließ er den noch anglophileren Breakfast-Essern. Er ging lieber gleich zu Speck, Eiern und Toast über. Dazu trank er meistens Tee mit einem Tropfen Milch oder eine Schale Kaffee. Es kann schon sein, dass eine Scheibe Toast, die er entgegen der englischen Tradition äußerlich nicht schwarz bevorzugte, mit Orangenmarmelade den Abschluss bildete. »Meine erste Mahlzeit am Tag, also mein Frühstück ist ein austrialisiertes English Breakfast«, erklärte Wunderlich seinem staunenden Nachbarn, »aber eben ein Break-fast, was, und da komme ich auf das eigentliche Thema unserer Betrachtungen zurück, ursprünglich Brechen des Fastens bedeutete. Ein Frühstück unterbrach nämlich früher das Fasten, da abends nichts oder kaum etwas gegessen wurde. Das ist gesund und macht die erste Mahlzeit des Tages zur wichtigsten. Das bezieht sich aber meiner Erfahrung nach lediglich auf das Mutterland des Englischen Frühstücks. Ein Ausspruch Somerset Maughams macht deutlich, warum das so ist. Als jemand im Gespräch zu ihm sagte, er verabscheue das Essen in England, soll er gesagt haben: >Unsinn, alles, was man tun muss, ist dreimal täglich zu frühstücken.< Ich hingegen liebe das Essen in Österreich. Ich denke nicht daran, dreimal täglich Toast zu essen. Ich liebe die Option auf einen Zwiebelrostbraten, auf ein Backhendl mit Erdapfelsalat, auf Marillenknödel mit zerlassener Butter und Staubzucker. Zur Jause soll es von mir aus ein Gugelhupf sein oder eine Topfengolatsche. Abends muss es nichts Warmes sein. Eine saure Wurst zu einem Krügerl oder ein kaltes Schnitzerl von zu Mittag tut es auch. Ich bin da eher genügsam. Darum wird mir vermutlich das Kasteien beim Fasten auch leicht fallen. Mir geht es ja eher um die seelische Reinigung als um die rein körperliche. Glaubenshalt statt Glaubersalz. Einkehr statt Einlauf. Das Ritual des Fastens an sich werde ich wirken lassen. Die Betrachtung des Ritus steht für mich im Vordergrund. Die Nahrungsmenge betrachte ich als sekundär. Ein Ritus ist ja eine formelle Handlung mit hohem Symbolgehalt. Das Abendmahl in einer christlichen Messe, ob Fastenzeit oder nicht, macht niemanden körperlich satt. Daraus dürfen wir lernen, dass rituelles Fasten auch bei körperlicher Sättigung wirkt. Was den Inhalt, also die Fülle des Formalen anbelangt, werde ich mich an Fastenprofis orientieren. Von alters her gelten katholische Mönche als kompetent in Fragen der Fastenspeisen. Dieses Vorbild vor Augen bin ich zuversichtlich meine Fastenzeit bis zum nächsten Breakfast ganzheitlich zu überstehen.«