Beim Pfarrer von Mülln saßen sie gesellig um den Tisch, Hans Tischstapler, ein Staatsbeamter aus dem Wiener Ministerium für Inwendige Angelegenheiten, der Salzsteiner Petrus, ein Bergmann aus dem nahen Hallein, der Schlögel Sepp, ein einheimischer Fleischhauer und natürlich der Pfarrer selbst. Wer es nicht kennt, sollte sich schämen, denn Mülln ist ein ziemlich bekannter Teil der Stadt Salzburg, liegt am linken Salzachufer vor Lehen und grenzt außerdem noch an Maxglan und Riedenburg und ist somit das eigentliche Zentrum dieser Welt, zumindest für Biertrinker. Das war auch schon vor hundertfünfzig Jahren so, als diese Sitzung stattfand. Und noch etwas war damals schon so wie heute. Wer schon einmal Bier getrunken hat, nämlich nur Bier mit nichts dazu, wird es wissen, Bier macht hungrig. Und das wusste natürlich auch der Pfarrer von Mülln, dessen Name hier nichts zur Sache tut, es könnte jeder der vielen Seelenhirten des vorletzten Jahrhunderts gewesen sein. »Anni, mach uns eine ordentliche Jausn!«, lautete daher die knappe Anweisung an seine Köchin.
»Ihr Stierwascher versteht es aber zu leben.« Diese Bemerkung des Staatsbeamten war vielleicht als Kompliment gedacht, führte aber in Folge zu einem Disput, der sich gewaschen hat. »Bei euch Wienern weiß man nie, wie ihr es meint«, mischte sich auch schon der Mann aus dem Salz ein. »Ihr könnt den Leuten mit den ärgsten Beleidigungen Honig ums Maul schmieren oder die ärgsten Schmeicheleien zum Leutpflanzen einsetzen. Soll sich der Pfarrer jetzt freuen, oder soll er schmollen. Ein gut aufgelegter Pfarrer wäre mir eindeutig lieber, wenn ich an die Jause denk.« Einer beschwichtigenden Geste folgte eine ebensolche Rede des Beamten. »Wir bewundern eure Schlauheit, das will ich sagen. Ein und denselben Stier immer wieder in anderer Bemalung den Belagerern vorzuführen, um ihnen Nahrungsreserven bis zum Jüngsten Tag vorzugaukeln, ist doch genial, oder nicht? Das Wort Stierwascher ist also ein Kompliment!« Der Halleiner schaute in die Runde. »So eindeutig ist das aber nicht, Tischstapler. Du glaubst offensichtlich die von der Salzburger politischen Geistlichkeit selbst erfundene Mär von der Bauerntäuschung?« Da erwachte der Streithansl im Pfarrer. »Na, Salzsteiner, erzähl doch die Halleiner Version dieser Heldensage. Und schauen wir einmal, ob du sie irgendjemandem hier am Tisch glaubhaft machen kannst. Es gibt nämlich, das musst du wissen, lieber Tischstapler, eine Halleiner Geschichte, die erfunden wurde, um die Stadt-Salzburger als Deppen dastehen zu lassen. So schaut’s aus!« Um etwas Zeit zu gewinnen und auch um der zu erwartenden Austrocknung der Kehle vorzubeugen, hob der Halleiner Bergmann seinen Steinkrug langsam zum Mund und ließ dem Bier seinen von den Naturgesetzen befohlenen Lauf. Ein langes geseufztes »Ahh« beendete diesen Genussakt und animierte die anderen ihren Krügen auch eine Erleichterung zu gönnen, schließlich hat man sich ja nicht unbedingt nur zum Reden getroffen. Und dann erzählte der Bergmann die von Generation zu Generation treulich überlieferte Geschichte von den Halleiner Bürgern, welche die großkropferten Stadt-Salzburger einmal richtig foppen wollten. Als er das Wort „großkropfert“ ausgesprochen hatte, starrten alle erschrocken auf den Pfarrer und erwarteten einen geharnischten Protest, sahen aber stattdessen ein kleines Lächeln. »Ach ja«, bemerkte der wackere Bergmann, »stimmt, du bist ja gar kein Stadt-Salzburger. Du stammst ja aus Bischofshofen.« – »Wir stammen doch alle von Adam und Eva ab«, erwiderte der Pfarrer, »also sprich nur weiter, Bruder im Herrn.« Eins zu Null für den Pfarrer. Und weiter ging’s mit der Halleiner Wahrheit. Einen schwarzer Stier hätten sie auf eine Plätte gestellt, die Leute aus der Salzstadt, und diese dann die Salzach hinunter treiben lassen. Die Stadt-Salzburger hätten das Vieh an Land geholt und zuerst einmal kräftig bestaunt. Und nachdem sie lange genug gestaunt hatten, ihnen war ja nur fleckiges Rindvieh bekannt, hätten sie den Stier in den Fluss getrieben und stundenlang zu reinigen versucht, weil sie ja, Gott weiß warum, glaubten der Stier sei angemalt worden. Als den fürsterzbischöflichen Salzburgern die Nutzlosigkeit ihres Tuns dämmerte, waren sie schon die Deppen, so der Halleiner. Und der Name Stierwascher sei ihnen dann geblieben.
Der Schlögel Sepp hat bis zu diesem Moment ruhig zugehört und nur hin und wieder einen kräftigen Schluck genommen, aber jetzt fühlte er seine Zeit gekommen. »Männer, bevor ihr euch vorschnell zu einem Urteil hinreißen lasst, hört einmal, was ich zu sagen hab!« Als die Steinkrüge wieder aufgefüllt waren und alle, die nach dieser Ankündigung noch einmal schnell wohin mussten, wieder gut saßen, gab sich Sepp zu erkennen. »Wissts ihr, wer ein echter Stierwascher ist? Ich bin ein echter Stierwascher!« Der Wiener schaute teilnahmslos, der Halleiner ziemlich unbeeindruckt und der Pfarrer hatte schon inhaltsschwerere Beichten gehört. »Ihr müssts wissen, der Schlögel Sepp wohnt gleich ums Eck«, versuchte Letzterer zu erklären. »Nicht weil i in der Stadt wohn, bin i a Stierwascher, weil i a Fleischhauer bin, derf i mi so nennen.« Verständnislosigkeit allerorts, nur dem Pfarrer ging ein Licht auf, aber der hatte ja den nötigen Draht. »I schlog nämlich die Schweine, i schlog a die Rindviecha, i schlog also a die Stiere.« Jetzt wurde es auch hinter den Augen des Halleiners hell. »Und wenn man im Salzburgischen jemanden schlagt, gibt man ihm einen Wascher, man wascht eam oane, versteht’s? I wasch die Stiere, i gib ihnen nämlich oane übern Schädl, bevor i s‘ stich. Und weil i des vor den Augen der Bürger tun muss, damit die net glaubm, mia verkaufen schlechtes Fleisch, mach i des bei der Salzach unten auf der Schlagbruckn. Und glei danebm, hamma unseren Verkaufsladen. Alle Fleischer in dieser Stadt sand also Stierwascher, sonst aber koana.«
In diesem alles erhellenden Augenblick kam die Anni herein, in der einen Hand einen Korb mit Brezen, in der anderen eine Schüssel mit Ochsenmaulsalat. Wer den nicht kennt, muss sich nicht schämen. Der Ochsenmaulsalat ist eine Delikatesse, die zwischen Nürnberg und Salzburg gerne gegessen wird. Den Norddeutschen graust davor, in Ostösterreich ist dieser Salat aus gepökeltem und anschließend gekochtem Maulfleisch vom Rind, es muss nicht unbedingt von einem Ochsen sein, kaum bekannt. In dünne Scheiben geschnitten, mariniert mit Weißweinessig, neutralem Öl, Salz, Pfeffer und Zwiebelringen, eventuell noch mit diversen Kräutern und Gurkerln verfeinert, ist er ein Gedicht. Ja, und noch etwas. Ein Glas Milch dazu wäre ein Sakrileg, das im Hause eines Müllner Priesters völlig undenkbar gewesen wäre, weswegen an dieser Stelle des Textes wieder nachgeschenkt wurde.
Als die Schüssel in der Mitte des Tisches abgestellt war und jeder seine Brezn hatte, und alle, eingedenk der Tatsache, dass man sich in einem Pfarrhaus befand, ein Tischgebet erwarteten, sagte der Pfarrer mit Bedacht: »Der Ochsenmaulsalat ist wie eine Predigt, manchem zu sauer, manchem zu scharf, und manchmal kommt er sogar aus dem Maul eines wahren Ochsen!«
„Ein echter Stierwascher“ und 26 weitere Geschichten stammen aus dem Buch
SAGENHAFTES aus dem WEINVIERTEL und den anderen Vierteln dieser Welt“.
Es ist im Buchhandel oder beim Verlag EDITION WEINVIERTEL erhältlich
ISBN: 978-3-902589-80-4
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