Die Weintaufe zu Pulkau

Sorgfältig schloss Friedrich die Tür zu seinem Haus, drehte den Schlüssel zweimal um, legte ihn ins geheime Versteck am Zwetschkenbaum, ging dann über den Hof und bedachte den Weinkeller zu seiner Linken mit einem zufriedenen Blick. Dieser Keller war sein ganzer Stolz. Sein Vater hatte ihn seinerzeit tief in den Hang getrieben und mit einem wunderbar gemauerten Böhmischen Platzl ausgestattet. Am Rückweg würde er noch kurz Nachschau halten was der Wein machte. Dann stieg er das schmale Wegerl hinauf zum oberen Garten. Diesen Weg nahm er jeden Sonntag. Es gab für ihn nichts Schöneres als Sonntag Nachmittag auf die Wehrleiten zu gehen, sich auf das Bankerl bei den Föhren zu setzen und hinabzuschauen auf den Ort. Der sonst so geschäftige Markt lag dann unbewegt da wie ein Altbauer nach dem Sonntagsbraten. Er ging betont langsam und mit offenen Sinnen. Das Rauschen der bachaufwärts gelegenen Wehr wurde mit jedem Schritt leiser, die Geräusche des nahen Waldes mit jedem Atemzug einladender. Er kannte jeden Vogel auf seinem Grund und er meinte auch, dass ihn jeder Vogel kannte, sogar die Stare, die ihm um diese Zeit die Ernte streitig machten. Er durchschritt den Gemüsegarten und erreichte bald seine Weingärten. Den einen hatte er erst vor wenigen Jahren ausgesetzt, mit Reben vom Grünen Veltliner, der hier in Pulkau so wunderbar gedieh. Die geladene Flinte, die er geschultert hatte, trug er nicht nur wegen der Stare mit sich, nein leider, diese Weinbeerendiebe waren heute nicht sein größter Kummer. Im Ort sprach man davon dass die Franzosen nicht weit waren. Aber wer weiß, vielleicht waren sie schon vorbei gezogen, so wie es die Russen vor Wochen getan hatten. Diese hatten im unteren Tal gewütet, bis hierher waren sie nicht gekommen. Seine Jagdflinte gab ihm ein Gefühl der Sicherheit. Obwohl, was würde sie ihm nützen? Gegen plündernde Soldaten war er wohl machtlos. Beim Bankerl war es dann ruhig, kein Bachrauschen war mehr zu hören. Er setzte sich und legte die Flinte beiseite. Die herrliche Aussicht tat wie immer das Übrige. Die Michaelskirche mit dem Karner, die Kirche zum Heilige Blut mit ihrem Zwiebelturm, der mächtige Hof der Schotten, ja, Pulkau war ein wunderschöner Ort. Er konnte bis Retz sehen und zur linken Hand die bewaldete Steigung hinauf zum Waldviertel. Doch, wie er jetzt bemerkte, würde er heute nicht lange hier sitzen können. Vom Westen her sah er dunkle Regenwolken aufziehen. Im nahen Waldviertel musste es schon heftig regnen. Dennoch war er frohgemut. Vielleicht würde er bald schon mit Maria hier sitzen, Hand in Hand, oder einen Arm um sie gelegt, wer weiß? Er probierte alle Positionen aus und lächelte in verträumter Freude. Ja, er war sicher im nächsten Frühling seine Maria heimführen zu können. Mit ihrem Vater, einem Bauern aus Rafing, war er sich einig geworden. Man wollte in der oberen Kirche heiraten, der Pfarrkirche zu St. Michael, und die Tafel würde bei ihm stehen, er hatte genügend Platz. Die Hochzeitsgesellschaft würde ja nicht groß sein. Nur schade, dass er Maria seinen Eltern nicht mehr vorstellen konnte, sie hätte ihnen bestimmt gefallen. Das Fleisch, die Backwaren und das Geschirr würden die Brauteltern bereitstellen und er, Friedrich, freute sich den Hochzeitswein auf den Tisch bringen zu können. Das war schon ein besonders Tröpferl, sein Hochzeitswein. Es war sogar ein Jungfernwein. Ein wohliger Seufzer entkam Friedrich als er an ihn dachte. Niemand außer ihm wusste wie hervorragend er war. Der erste Wein aus dem frisch ausgesetzten Weingarten, in dessen Nachbarschaft er gerade saß, war besonders gut geworden, nicht zu trocken, fruchtig und mit dem typischen Pfefferl, das diese Sorte so auszeichnete. Und der erste Schluck als verheiratetes Paar würde wohl unvergesslich bleiben für sein und ihr ganzes gemeinsames Leben. Es wird dann wohl auch leichter werden am Hof. Maria würde den Stall übernehmen. Das Melken der Kühe, auch wenn es noch so wenige waren, hielt auf. Die Hühner waren nicht so zeitaufwändig und den Ochsen würde er weiter selbst versorgen. Und die Küche war auch besser in weiblicher Hand, das war sowieso klar. Ein Lächeln legte sich auf Friedrichs Züge. So schwer sein Leben auch war, so schwierig die Zeiten auch waren, er war ein glücklicher Mann.

Ein lauter Knall riss ihn aus seinen Träumen. War das ein Schuss, ein Schuss mitten im Ort? Kam der Knall womöglich gar von seinem eigenen Hof, oder kam er vom Ufer des Baches gleich nebenan? Friedrich war sich nicht sicher. Wer sollte da unten schießen? Er rannte los. Mitten durch den Weingarten rannte er, quer durch den Gemüsegarten, immer bergab, bis vor sein Haus. Dort blieb er abrupt stehen. Intuitiv griff er nach seiner Flinte, griff aber ins Leere. Wo war sein Gewehr? Hatte er es neben der Bank liegen gelassen? Was sonst, aber das war sicher gut so, denn vor dem Weinkeller standen Soldaten. Seine Augen täuschten ihn nicht. Mitten auf seinem Hof waren Soldaten, ohne Zweifel französische, und alle waren sie bewaffnet. Einer von ihnen trat unter lautem Anfeuerungsgebrüll seiner Kollegen mit dem Fuß gegen die massive Kellertür so dass sie krachte. Sie hielt aber stand. Ein schriller Pfiff erklang vom Bach her. Die Franzosen blickten sich nach dem Pfeifer um und bemerkten dabei Friedrich. Der stand wie angewurzelt da und starrte ratlos zurück. Für einen kurzen Moment stand die ganze Welt still. Es lagen kaum zwanzig Schritt zwischen den fünf Soldaten und ihm, aber es lagen wohl Welten zwischen ihren Absichten. Hinter ihm, gerade dort wo jemand warnend gepfiffen hatte, schnaubte ein Pferd. Friedrich wandte sich langsam um. Er wollte Zeit gewinnen und so nebenbei den ungebetenen Gästen die Möglichkeit geben einfach zu verschwinden. Das Schnauben kam von einem Ross, das am anderen Ufer des Pulkaubachs vor einen Wagen gespannt unter Bewachung eines weiteren Soldaten vor sich hin döste. Langsam wandte er sich wieder der Kellertüre zu und sah dort genau das was er erwartet hatte. >Bienvenue< , rief er so überzeugend er nur konnte, >bienvenue<, und breitete dabei die Arme aus soweit es ihm unter diesen Umständen möglich war. Bienvenue war das einzige Wort, das er in ihrer Sprache kannte. Damit waren also seine Fremdsprachenkenntnisse erschöpft, ab jetzt würde er sich der Körpersprache befleißigen müssen. >Seid mir willkommen, Freunde!< Ein Lächeln, das sein ganzes Gesicht einnahm, unterstrich seine herzliche Begrüßung. >Habt ihr Durst? Darf ich euch bewirten? Seid ihr von Frankreich bis ins Weinviertel gelaufen um ein Viertel Wein bei mir zu genießen?< Er griff zielsicher unter einen Ziegelstein, der wie zufällig neben der Kellertür lag und holte den großen Kellerschlüssel hervor. >Bienvenue<, sagte er vorsichtshalber noch einmal und schloss auf. Unter fröhlichem aber unverständlichem Gequassel stolperten die Soldaten im Halbdunkel hinter ihm her. Er öffnete eine zweite Türe und stand im finsteren Keller. Lautes Lachen hinter ihm. Ein Zündholz flammte auf und eine Fackel wurde angezündet. Die Soldaten kannten sich aus.

Friedrich hatte oft Gäste in seinem Weinkeller. Das schöne Platzl gleich nach der unteren Türe war nicht ungemütlich, sofern man nur warm genug gekleidet war.

Ob aber Friedrich an diesem Tag warm genug angezogen war um der Soldaten Herr zu werden, lesen Sie am besten direkt im Buch:

SAGENHAFTES aus dem WEINVIERTEL und den anderen Vierteln dieser Welt, erschienen in der Edition Weinviertel     ISBN: 978-3-902589-80-4

Erhältlich im Buchhandel oder im Onlineshop des Verlages

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