Eberlin hielt inne. Er stützte sich auf seinen Spaten um ein wenig zu verschnaufen. Es war ein sonniger Tag, nicht zu heiß, aber warm genug um beim Graben ins Schwitzen zu kommen. Das musste aber nicht sein, so eilig hatte er es nicht. Nur noch drei Löcher, dann wäre Schluss für heute. Es war ja noch anderes zu tun. Eberlin hob den Blick und ließ ihn schweifen, ganz gemächlich von rechts nach links, so wie der Fluss unter ihm rollte, und genauso gemächlich. Ja die Tounowe war ein mächtiger Fluss, eine wahre Lebensader. Sie spielte ihre Macht nur zu oft aus, wenn sie ihre Auen überschwemmte und gleich die Dörfer dazu, wenn sie die Schiffer gefährdete und die Tiere ertränkte, die sich nicht retten konnten. Aber sie schenkte auch Leben, wie Eberlin als Weinbauer genau wusste. An ihren Ufern gediehen die Reben besonders gut, das konnte kein Zufall sein. Und da wo er stand, am Südhang des Businberges, war es augenscheinlich. Die Leute kamen von weit her um hier Wein zu kaufen und auch zu trinken, was er als Wirt auch gerne sah. Es war ein wunderschöner Fleck Erde. Ein bisschen wollte er noch rasten, dazu setzte er sich auf den sandigen Boden. Ein kräftiger Schluck aus dem ledernen Trinkschlauch könnte auch nicht schaden. Die Löcher für die neuen Reben können warten, die laufen nicht davon. Er musste lachen, noch nicht gegrabene Löcher, die nicht laufen wollten, ein lustiges Bild. Eberlin schätzte seinen eigenen Wein sehr, und es gab niemanden in Encinstorf oder im nahen Urliugestorf und auch keinen Durchreisenden der das nicht tat. Aber ein Lederbeutel war an einem sonnigen Tag kein ideales Gefäß für diese Köstlichkeit, auch wenn er geschützt in einem Erdloch lag. Sein Blick streifte über die Aulandschaft unter ihm und blieb an der gar nicht weit entfernten Kirche von Nivvenburc hängen. Jetzt war wohl Zeit fürs Gebet. Bei Eberlin war es immer ein Dankgebet. Sein Wein im Schlauch, sein Weingarten am Hang, sein ganzes Leben machten es ihm leicht zu danken. Langsam legte er sich zurück. Die Erde war warm und der Wein tat ihm nach der Anstrengung der letzten Stunden besonders gut. Er hatte noch einen großen Schluck genommen, genoss die Windstille in Bodennähe und die paradiesische Ruhe die ihn umgab.
Sie schien von weit her zu kommen. Langsam stieg sie den Hang herauf. Auch wenn sie da und dort kurz stehen blieb, eine Blume brach oder einem Vogel nachblickte, Eberlin wusste dass sie zu ihm kommen würde. Ihr Kleid war schlicht, an ihm war nichts Besonders, es war aber unvergleichlich. Er konnte sich nicht erinnern jemals ein ähnliches gesehen zu haben. Es betonte die weiblichen Konturen seiner Trägerin wie es hierzulande nicht üblich war. Diese Frau war einfach schön. Sie war eigentlich noch zu weit weg als dass er ihre Gesichtszüge hätte erkennen können, aber Eberlin war mit ihnen bereits vertraut, als ob sie ihn schon sein Leben lang begleitet hätten. Es war allerdings nichts Mütterliches an dieser Frau, auch nichts Schwesterliches, nein, sie kam wie eine Geliebte auf ihn zu. Nicht um ihn zu erobern kam sie, eher um ihn zu beschenken. Und bald stand sie vor ihm und blickte auf ihn herab. Ihr Lächeln wärmte ihn mehr als es die Sonne des Himmels je getan hatte. Ihre Augen sahen, daran bestand für ihn kein Zweifel, was er sich selbst nie eingestanden hätte, sie schienen sein ganzes Wesen zu durchleuchten. >Eberlin<, sprach die Frau ihn mit sanfter Stimme an, >Eberlin, ich bin zu dir gekommen um dich glücklich zu machen.< Er vernahm ihre Worte ganz ohne Staunen. Ja, natürlich, dachte er. Natürlich wollte sie ihn glücklich machen. Über das Wie machte er sich keine Sorgen, sie würde es schon wissen. Die Frau ging vor ihm auf die Knie, ergriff sanft seine Hände, richtet sich wieder auf und zog ihn dabei mit sich bis er aufrecht stand. Das geschah mit zauberhafter Leichtigkeit. Und nun führte sie Eberlin behutsam zu der Stelle, an der er zuletzt gegraben hatte und blickte in die Vertiefung. Er folgte ihren Blicken und bemerkte am Grund der Grube einen glitzernden glatten braunen Stein. Oder war es gar kein Stein? Er bückte sich, griff in die Vertiefung und holte den vermeintlichen Stein vorsichtig heraus. Es war eine kleine Figur, offenbar aus Ton gebrannt. Sie hatte unverkennbar weibliche Züge, ihr Unterleib war wohlgeformt, aber ihr langer Oberkörper mit den kleinen Brüsten und den kurzen wegstehenden Armen passte von seinen Proportionen nicht ganz. Er war nicht ästhetisch, und erst der lange Hals, vom Kopf ganz zu schweigen. Dieser erinnerte ihn eher an den Verschluss einer Amphore. Ja, eigentlich hatte diese Gestalt eher das Aussehen eines Gefäßes, aus dem man ein Aphrodisiakum ausschenken wollte. Nun, ihm sollte das recht sein. >Eberlin,< sagte die Frau wieder, >ich bin gekommen um dich glücklich zu machen.< Sie nahm das kleine Gefäß, drehte den Verschluss ab, setzte den Hals an ihren Mund und trank. Dann reichte sie ihm das Gefäß. Und ohne zu zögern nahm auch er einen Schluck. Erstaunt setzte er das Trinkgefäß sogleich ab. Wie konnte das sein? Wie war das möglich? Wie kam sein Wein in dieses Tongefäß? Fragend blickte er die Frau an. Diese sprach: >Der Wein, der hier gekeltert wird, ist wie ein Aphrodisiakum, da hast du recht, aber eine Frau ist wie Aphrodite selbst, oder wie die Venus, wie ihr hier in Encinstorf sagen würdet. Und du, lieber Eberlin, du hast Glück, du darfst wählen.< Die Sonnenstrahlen wärmten lediglich den Sandboden, Eberlin erglühte aus ganz anderen Gründen. Vor ihm stand, da war er sich jetzt sicher, keine andere als die Göttin der Liebe. Und sie lobte seinen Wein in den hohen Olymp, ja sie machte ihn zum reinen Nektar. Und voll Liebe zu dieser göttlichen Frau machte er einen Schritt auf sie zu, griff nach ihr, nahm sie fest in die Arme und drückt sie an sein Herz.
Er merkte aber sofort, dass er mit diesem Schritt zu weit gegangen war. Sie fühlte sich plötzlich nicht mehr wie eine Frau an. Sie war vielmehr wie feuchter Ton in seinen Händen. Und noch ehe er ganz wach war, wusste er es. Traumfrauen sind nur Traumfrauen. Aber.
… aber was ihn so verblüffte, lesen Sie am besten direkt im Buch:
SAGENHAFTES aus dem WEINVIERTEL und den anderen Vierteln dieser Welt, erschienen in der Edition Weinviertel ISBN: 978-3-902589-80-4
Erhältlich im Buchhandel oder im Onlineshop des Verlages
www.edition-weinviertel.at/shop/catalog/product_info.php?products_id=453