Die Sache mit dem Yeti

Meinhold war Mamas Liebling, was man schon an seinem Namen erkennen konnte. Sein Geburtsort lag in großer Höhe südlich vom Hauptkamm des mächtigsten Gebirgszuges des ganzen Kontinents, vielleicht sogar der ganzen Erde. Mama wusste das nicht und woher sollte es dann Meinhold wissen. Hätte man ihn nach seinem Beruf gefragt, wüsste er bestimmt keine Antwort. Der Begriff Beruf war ihm und seiner ganzen Sippe völlig fremd. Ob er sich berufen fühlte das zu tun was er tagein tagaus tat, hatte er sich noch nie gefragt. Sein Tun und Lassen waren so selbstverständlich, dass eine Frage danach gar keinen Sinn ergab. Er jagte und er sammelte, was sollte er sonst tun. Noch nie hatte irgendwer, den er kannte, etwas anderes getan. Natürlich war es Mama, die ihm all das beigebracht hatte, ihm und seinem Zwillingsbruder. Aber der war längst über alle Berge, nur loser Kontakt bestand zwischen ihnen beiden. Wenn sie sich zufällig über den Weg liefen, gab es eine kurze Begrüßung, ein paar Freundlichkeiten, die bald in kleine Stänkereien umschlugen und in ein baldiges Auf Wiedersehen. Sentimentalitäten waren ihnen fremd. Jeder schaute wo er blieb. Und wo der jeweils andere blieb war ihnen beiden egal, wenn er nur nicht das Wild vergrämte. Ja, die Luft war rau in dieser Höhe.

Jedes Jahr im Hochsommer zog es Meinhold hinauf zu den Felswänden, zu den steilsten von ihnen. Es war tatsächlich mehr ein Gezogen- als ein Getrieben werden. Das Bergsteigen lag ihm im Blut, genauso wie das Jagen und Sammeln. Die dünne Luft in großer Höhe machte ihm nicht viel aus. Er hatte ja sein ganzes Leben hier verbracht, war abgehärtet und hatte auch die nötige Statur dazu. Meinhold war stämmig, hatte einen mächtigen Brustkorb aber verhältnismäßig kurze Beine, was vermutlich Mamas Erbe war, über das Aussehen seines leiblichen Vaters hatte er nie etwas gehört. Er wusste nur, dass es ihn gegeben haben muss. Er wird wohl dunkelhaarig gewesen sein, das waren sie ja alle.

Meinhold ging ein Bachbett entlang. Das Gesäusel des Wassers, die Gischt, die sich beim mutigen Sprung der Tropfen über die Felsstufen bildeten, der Sprühnebel, welcher sich mit der würzigen Luft des Waldes vermengte, all das war für ihn Heimat. Er blieb stehen und blickte fasziniert aber auch ein bisschen ängstlich in den feinen Sprühregen, der sich in einem dünnen Sonnenstrahl zeigte. War das Zauber? Woher kamen die zarten Farben? Es gab so Vieles was Meinhold nicht kannte, so viel was er noch nicht wusste. Aber eines wusste er bestimmt, nämlich dass er Brombeeren liebte. Und süßer Brombeerduft stieg ihm gerade in die Nase. Der Strauch konnte nicht weit sein. Aber noch ließ ihn der Bach mit seiner Wunderwelt nicht los. Er wollte den Wasserfilm auf seinem Gesicht noch etwas auskosten. Wir schön das Leben doch sein konnte, zarte Farben im Bogen über dem Wasser, vom Blau der Beeren bis zum Rot der untergehenden Sonne, ein kühlender Nebel auf der Nase und den Augen und ein dadurch verschwommener Blick auf die Sträucher mit seinen Lieblingsbeeren. Da traf ihn der Blitz. Ein heller Blitz zuckte vor ihm auf und hinterließ schwarze Punkte in seinen Augen. All seine Bewegungen froren augenblicklich ein, wie versteinert stand er da. Was war das? Mitten im verschwommenen Geäst des Brombeerstrauches hatte es geblitzt und gesurrt. Es war kein Donner, wie er hier im Gebirge so schauerlich dröhnen konnte, nein, es war ein leises Surren, wie von einer Biene. Vielleicht war es eine Biene. Aber was hatte mitten im Strauch geblitzt? Ein farbiger Bogen über dem Bach, ein heller weißer Blitz im Strauch, war er in einem verwunschenen Wald? Wenn er nur scharf sehen könnte, aber die feinen Wasserstrahlen hatten sein Augenlicht getrübt und der Blitz hatte ein schwarzes Loch in seinen Augen hinterlassen. Er blieb darum ruhig stehen und wartete. Bald zeigte sich der Brombeerstrauch wieder. Er war keine zwanzig Schritt von ihm entfernt. Zweimal noch blinzeln und er würde wieder ganz scharf sehen können. Da bemerkte er den fremden Geruch. Irgendein unbekannter Duft strömte ihm aus dem verdächtigen Strauch entgegen, irgendetwas Fremdes. Ein großer blauer Fleck manifestierte sich darin, dieser war aber nicht blau wie die Beeren, er war heller und er bewegte sich merklich, langsam aber erkennbar. Er kannte nichts Blaues dieser Größe das derart duftete. Kein Vogel konnte diese Größe erreichen. Und blitzen konnte nichts und niemand. Das konnte kein Tier sein. Was war es aber dann? Meinhold war kein Angsthase aber hier war wohl Vorsicht geboten, Vorsicht und Schläue. Er musste diesen Strauch weiter beobachten aber aus sicherer Distanz. Also ließ er sich auf seine Vorderbeine herab, brummte sein abschreckendstes Brummen und trottete langsam bachaufwärts, die Blitze hinter ihm versuchte er zu ignorieren. Nach einigen Atemzügen bog er scharf ab, schlich so leise es ihm möglich war durchs Unterholz, beschrieb einen weiten Bogen und behielt dabei den genauen Standort des Beerenstrauches im Kopf. Und dann stellte er sich hinter einem breiten Baumstamm auf die Hinterläufe und verhielt sich ganz ruhig. Alle Sinne waren auf höchste angespannt, er selbst stand aber da in absoluter Ruhe. Den Verlauf des Baches konnte er mehr ahnen als sehen. Aber dort tat sich etwas. Verfolgte ihn dieses blaue Etwas? Vögel flogen auf. Was hat sie erschreckt? Meinhold stand unbewegt, atmete langsam und lautlos im Bewusstsein den längeren Atem zu haben. Wer immer ihm nachstellte, Meinhold würde den längeren Atem haben. Und schon bald wurde seine Geduld belohnt. Da schlich jemand auf seinen Spuren durch den Wald. Dieser ging aufrecht auf zwei Beinen und war tatsächlich blau, zumindest am vorderen Teil des aufgerichteten Körpers. Das waren aber keine Federn, das war erst recht kein Fell, das war auch kein Schuppenkleid wie er es schon bei bunten Schlangen gesehen hatte, aber es glänzte. Der Hinterteil glänzte auch, wenn auch nicht so stark, war aber grau. Das Merkwürdigste aber war der Kopf des Wesens. Er trug ein Fell. Ganz ober war ein struppiges Fell zu sehen, ebenso um den Mund. Aber die Augen! Die waren richtig gespenstisch. Sie waren riesengroß, dunkel glänzend und was das Sonderbarste an ihnen war, das Wesen konnte sie abnehmen. Meinhold war nicht verrückt geworden, er konnte es ganz deutlich sehen. Das Wesen nahm sie ab und hielt einen großen glänzenden Gegenstand davor als ob es unter den großen Augen noch kleinere hätte, mit denen es hindurchschauen wollte. Und das Ding blitzte. Dieses Ding konnte tatsächlich Blitze machen, wie unheimlich. Ob es auch surrte war auf diese Distanz nicht zu hören. Meinhold hatte genug gesehen, jetzt wusste er mit wem er es hier zu tun hatte. Kalter Schauer rann ihm über den Rücken. Dieses Wesen musste der sagenhafte Yeti sein, das Felsentier.

Wenn es Sie interessiert, wie diese Geschichte weiter geht, müssen Sie auf das Erscheinen des Buches:

VESELY’s wunderliche Naturgeschichten

warten. Es ist bald soweit.