Das waren noch Zeiten

Das waren noch Zeiten, als eine Atombombe auf Hiroschima fiel. Das waren noch Zeiten, als ein Erdbeben San Franzisko dem Erdboden gleich machte. Ja, das waren noch Zeiten. Wenn man sich heute Nachrichte im Rundfunk anhört oder ansieht, vermisst man sie. Da gibt es keine Zeiten mehr. Atemlos berichtet die Sprecherin, dass in Unterwieselbrunn ein 44-jähriger Mann seine 39-jährige Frau und seine drei Kinder mit einer Pistole bedroht. Man fragt sich bestürzt, warum denn niemand einschreitet. Da haben wir die Cobra, bestehend aus bestens ausgebildeten, bestens ausgerüsteten Polizisten, eine Spezialeinheit für genau solche Fälle und keiner denkt daran, sie zu diesem Mann zu schicken, um ihn an seiner Wahnsinnstat zu hindern. Erst als diese Schreckensnachricht zum dritten Mal vorgelesen wird, diesmal von einem Reporter, der offenbar vor dem Horrorhaus postiert ist, nimmt man das Wörtchen ‚gestern‘ vor der vermeintlichen Wiederholungstat wahr. Also ‚gestern bedroht ein 44-Jähriger Mann seine 39-jährige Frau und seine drei Kinder‘. Erleichtert atmet man aus. Diese vier Opfer haben es offenbar längst überstanden. Sie sind nicht mehr zu Tode erschrocken und leiden auch nicht mehr. Das ist eine gute Nachricht, auch wenn der Sender nicht daran dachte, sie uns mitzuteilen.

Ich orte ein Totalversagen der DeutschlehrerInnen des Landes. Sie haben es verabsäumt ihren SchülerInnen die Vorzüge des Gebrauchs verschiedener Zeitformen zu zeigen. Wenn ich bei obiger Nachricht erschrak, bin ich jetzt nicht mehr erschrocken. Wenn ich dabei aber erschrocken bin, habe ich jetzt noch Herzklopfen. Wenn ich aber schon beim erstmaligen Hören der Schreckensnachricht eine Pulsfrequenz von 100 Schlägen pro Minute hatte, weil ich zu Fuß fünf Stockwerke zu meinem Radio geeilt war, hatte ich beim Hören der Nachrichten bereits Herzklopfen. Haber Sie mich verstanden? Ja? Ist das nicht schön? Jedenfalls schöner als der Präsens-Einheitsbrei, den uns gedankenlose Nachrichtenredakteure täglich vorsetzen.

Das werden Zeiten sein, wenn die Radio- und Fernsehleute den Kindern wieder ein sprachliches Vorbild sein werden. Ja, das werden Zeiten sein.