Manfred Vesely
Der Schreiber
Man schrieb das Jahr 1949 als Manfred Vesely im niederösterreichischen Stockerau als Sohn eines Studenten und einer Verkäuferin das Licht der Welt erblickte. Jahre später übte er Schönschreiben an den Worten „Österreich ist frei“, übersiedelte, da sein Vater dem neu gegründeten Bundesheer beigetreten war, in den Speckgürtel der Stadt Salzburg und schrieb in den nächsten zwölf Jahre seines Lebens so manches Schulheft aus. Sportgeschichte schrieb Manfred Vesely nicht, war aber schnell genug um einige Male als Salzburger Jugendmeister in leichtathletischen Disziplinen zu Buche zu stehen. Nach der Matura und dem Präsenzdienst beim Bundesheer ließ er sich an der Universität Wien einschreiben. Dort schrieb er Vaters Biologie-Skripten weiter, fertigte die eine oder andere Mitschrift von Philosophischen Vorlesungen oder in Psychologie-Seminaren an, unterschrieb beim Stadtschulrat für Wien einen Lehramtsvertrag, den er pragmatisiert und systemisiert bis zum Eintritt in den Ruhestand (siehe „Vom Urknall bis zum Ruhestand) pflichtschuldigst einhielt. Als Lehrer schrieb er Zeugnisnoten, Elternbriefe oder Stammbuchverse, doch kaum einmal schrieb er eine Schülerin oder einen Schüler ab. Eine der schönsten Unterschriften seines Lebens setzte er am Standesamt beziehungsweise in der Hl. Blutkirche zu Pulkau unter eine Heiratsurkunde. Da halten höchstens die diversen Eintragungen in das Langenzersdorfer Standesregister anlässlich der Geburten seiner Kinder mit. Inzwischen übt er bereits Schreiben mit seinen Enkelkindern, die diese Kunst unbedingt schon vor dem Eintritt in die Schule erlernen möchten.
Und dennoch schreibt Manfred Vesely noch nicht lange. Einzelne Gedichte dann und wann, ja, die schrieb er schon immer, wie es Gelegenheitsdichter eben tun. Aber Prosatexte verfasste er erst im Ruhestand, als er daranging, die Schüleranekdoten, welche er durch all die Jahre gesammelt hatte, niederzuschreiben. Daraus wurde das oben erwähnte Buch.
Als Mitglied des Verbandes „Katholischer Schriftsteller Österreichs“ und der „Lyrikfreunde“ liest er in den Vereinslokalen oder bei Veranstaltungen von „kunst&ko“ in Stockerau. In Sendungen von Regionalsendern war er zu hören und einzelne Texte wurden schon prämiert. Seine neuesten Bücher heißen „Sagenhaftes aus dem Weinviertel und den anderen Vierteln dieser Welt“, „Niko und sein Fünkchen“, ein Bilderbuch für Kinder, „VESELYs wunderliche Naturgeschichten“ und DOMINO – Das Spiel der Frauen, ein Roman.
Aber warum schreibt er eigentlich? Diese Frage wurde ihm schon einmal gestellt. Lesen Sie seine Antwort.
Warum?
Diese Frage hatte mich total überrascht. Und das ärgerte mich. Warum habe ich nicht daran gedacht mir eine passende Antwort zu recht zu legen, passend zur Wahrheit oder wenigstens zu dem, was ich für wahr nehme, also vor mir selbst gelten lasse. „Warum schreibst du?“ Diese Frage lag doch in der Luft. Und jetzt lag sie im Äther. Die Redakteurin hatte sie gestellt und ich sollte in absehbarer Zeit, nämlich sofort, eine fundierte Antwort beginnen. Das Du störte mich nicht, es war abgesprochen. Bei einem Jugendsender ist das so. Ich hätte jedoch Scheu gehabt, die vergleichsweise junge Frau von mir aus zu duzen. Ich hatte genug Erfahrung darin live zu sprechen. Vor einer überschaubaren Menge von Leuten eine wohlüberdachte Antwort zu geben und gegebenenfalls zu begründen war ich als ehemaliger Lehrer gewohnt. Aber aus welchem Grund ich jetzt schreibe, jetzt im Ruhestand, hatte ich mir noch nicht überlegt. Es schien mir so normal, so selbstverständlich. Ich hatte mich nicht dazu entschlossen, dazu gab es keinen Plan. Wenn ich früher etwas sagen wollte, sagte ich es. Auditorien, nämlich Kinder und Jugendliche aller Altersstufen, stellte mir die Gesellschaft. Die Befriedigung, von dieser oder jenem verstanden worden zu sein, reichte. Offenbar war das jetzt nicht mehr so. „Den Rufer in der Wüste zieht es in die Stadt.“ Diese Antwort wäre eines Dichters würdig gewesen. Aber was hatte ich eigentlich geantwortet? Ich weiß es nicht mehr. Meine Worte klangen vermutlich nicht überzeugend.
Was ist es, das Schriftsteller von Rednern unterscheidet? Was hat die Schrift der Sprache voraus? Worte verhallen, sagte man vor der Erfindung von Tonträgern. Das war in den meisten Fällen auch gut so. Das gesprochene Wort ist rasch gebildet, verlässt die Sprecherin, den Sprecher schnell, mit Schallgeschwindigkeit, die uns, obwohl der Lichtgeschwindigkeit unterlegen, eine besonders hohe zu sein scheint. Das geschriebene Wort hingegen, auf unschuldig weißem Papier fixiert, ist mehrfach geprüft, es ist nicht hemmungslos entschlüpft. Es ist geplanter Gedanke, simplifiziert zwar, mehrerer Dimensionen beraubt, nur mehr flächig ausgebreitet wie ein Plan, aber mehrfach überdacht. Sprache kommt, so sagt man, beim Mund heraus und geht bei den Ohren hinein. Schrift benötigt um verstanden zu werden, außer den Sprech-Hör-Bereichen des Hirns, auch noch Seh- und Schreibganglien. Lesen wirkt darum anders, beansprucht den Menschen anders. Es erlaubt auch das Überlesen. Auch noch so laut Geschriebenes, vermag man leise zu lesen. Hier kommt die Urbedeutung des Wortes Lesen, nämlich das Auslesen, das Aus-anderem-Herauswählen, zum Vorschein. Nichtgenehmes kann man auf dem Papier lassen. Geschrienes zu überhören ist, meine ich, schwieriger, eindringlich zu schreiben demgemäß auch. Erst jetzt fällt mir auf, dass sich die Worte Schreien und Schreiben nur durch ein B unterscheiden. Ein B-deutender Buchstabe, das B.
„Warum schreibst du Gedichte?“ Warum Gedichte? Muss ich das vor mir selbst begründen? Reicht es nicht, dass ich es tue? Aus dem Wort Dichtung kann man ja die Antwort schon herauslesen. Gedanken werden verdichtet, auf den Punkt gebracht. Das ultimative Gedicht ist demnach ein Punkt.
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Im Punkt ist das Räumliche aufgehoben, gut aufgehoben. Ein Punkt hat keine Ausdehnung. Was immer man denken will, und sei es das ganze Universum, findet sich in diesem Punkt. Die seltenen Worte des Gedichtes, lyrisch geordnet, lenken die Gedanken der lesenden Person. Was sie aber denkt, was durch sie tönt, per sonare heißt ja übersetzt hindurchtönen, lebt zwischen Dichter und Leser, ist ein wahres Interview der beiden mit dem Verdichteten als Kristallisationspunkt von Ideen. Je kleiner das Gedicht, desto reiner der werdende Kristall.
All das hätte ich sagen können. In der sterilen Atmosphäre des Studios habe ich dem Mikrofon aber nur eine seichte Begründung angeboten. Jetzt aber ist mir klar geworden, warum ich schreibe. Ich schreibe um Kristallklares wachsen zu lassen.