Blondels Lieder

In the Kellerstreet,

I can not believe it,

I sit all alone

on a stone

Er wusste, dass das nicht der Originaltext war. Aber sein Deutsch war nicht gut genug um sich alle Verse zu merken die dieser traurige Gentleman in unsagbar weinerlicher Manier gesungen hatte. Aber den Tonfall hat er gut getroffen, was allerdings nicht nur an seiner Sangeskunst lag. Es lag vor allem daran, dass er haargenau in der gleichen Stimmung war wie dieser Herr, der mitten in Ertpurch, einem Vorort von Wenia, auf einem Stein am Straßenrand saß und Tränen in seine Worte tropfen ließ.

Glaubst denn du mein Steinderl,

du mein liebes Freunderl

das kommt nur vom Weinderl

ganz allein?

 

No, dear Richard,     sang Blondel leise mit,

it comes from my heart,

only from my heart.

 

In the Kellerstreet,

I can not believe it,

I sit all alone

on a stone.

Nun all alone war er, wenn man den Gentleman mitzählte, zwar nicht, aber einsam war er für zwei. Blondel seufzte. Er hatte es ja kommen sehen. Schon als sie in diesem Dorf südlich der Alpen aufgeflogen waren, als sie nur mit Glück noch einmal entkommen waren, hatte er dieses böse Ende befürchtet. Richard hätte Leopold bei Akkon nicht demütigen dürfen. Jeder Herrscher hatte seine Ehre, jedes Heer hatte seine Ehre. Es wäre nichts dabei gewesen ihm einen gerechten Anteil zu überlassen. Die Kriegsbeute war doch nicht das Wesentliche an diesem Kreuzzug. Jetzt würden sie dafür büßen müssen. Jetzt da sie durch Leopolds Land ziehen mussten, könnte ihnen das auf den Kopf fallen. Ja, das hatte er gedacht und genauso war es gekommen. Gerade als König Richard beim Dinner saßen, bei fettem Bauchfleisch, gutem Brot und überraschend gutem Wein, kamen sie hereingestürmt. Sie packten seine Majestät, sie packten den König fester als es nötig gewesen war. Niemals hätte sich Richard mit Landsknechten geprügelt. Er forderte sie sogar auf, ihn zu ihrem Kommandanten zu führen, was sich allerdings als überflüssig erwies, da dieser schon mitten im Raum stand und seinen Triumpf auskostete. Das war das Letzte was Blondel von dieser Szene mitbekam. Ihn hatten sie gar nicht zum englischen König gehörig wahrgenommen, da er gerade dabei war dem Wirt beim Auftragen weiterer Speisen zu helfen. Durch ihre Kleidung waren sie bestimmt nicht aufgefallen. Vermutlich hatten sie die Münzen verraten, die sie am Vormittag einem Händler angeboten hatten. Es waren Geldstücke, die es hierzulande bestimmt nicht oft zu sehen gab. Das war ihr verhängnisvoller Fehler gewesen. Blondel ist dann einfach langsam hinter dem Wirten aus dem Raum gegangen und dann ebenso langsam aus dem Haus, die Straße entlang bis er unter all den anderen Leuten nicht mehr auffallen konnte. Und dann stand er plötzlich vor diesem nach Wein duftenden weinerlichen Sänger und setzte sich zu ihm.

Was Blondel damals noch nicht wissen konnte, Wein ist für die Österreicher das Substantiv zum Verbum Weinen, für manche sogar der Imperativ. In den nächsten Tagen sollte sich aber sein Wissensstand ändern. Er wollte nicht auffallen und trieb sich daher an Orten herum, an denen die Einheimischen den vergorenen Traubensaft verkosteten. Er setzte sich an einen Tisch, blickte mit hängendem Kopf stumm auf die Tischplatte und weinte in seinen Wein. Niemand beachtete ihn. Vor Mitgefühl. Und dort lernte er ihre Lieder kennen. Es wird ein Wein sein und mir wern nimma sein – war noch das lustigste, was immer es bedeuten mochte. Blondel war vor dem Kreuzzug schon weit in der Welt herumgekommen und hatte auf seinen Reisen im Norden Deutschlands, dort wo schon viele englische Musiker aufgetreten waren, einige Brocken Deutsch gelernt. Aber was die Österreicher in ihren Trinkstuben erzählten, blieb ihm ein Rätsel. Er vermutete, dass sie über die Verhaftung seines Freundes und König sprachen, da er immer wieder Löwenherz hörte, den Ehrennamen Richards und Leopold, den Namen des österreichischen Herzogs, dessen unversöhnlichen Waffenbruders. Also doch.

Aber wo konnte Richard Löwenherz jetzt sein? Wo konnte ihn Leopold gefangen halten? In einer befestigten Anlage natürlich, in einer Burg. Davon gab es in diesem Land allerdings viele. Die weinerlichen Genießer zu fragen war vermutlich nicht zielführend. Womöglich würden sie ihn auch festhalten, dann wäre alles aus gewesen. Blondel musste lernen zu denken wie sie. Darum wollte er ihren Wein trinken und ihre Lieder singen. Dass er bei diesen Lessons so nebenbei auch seinen Kummer ertränken konnte, war ihm nur recht. ’s Herz von an echten Weana, dargeboten von einem Sänger aus Österreichs Hauptstadt, brachte ihn dann auf eine Spur, oder eigentlich erst einmal auf eine Idee. Er verstand ja nur das Wort Herz, aber in Verein mit der optimistisch klingenden Melodie reichte das um einen Gedanken in sein eigenes Herz zu legen. Er würde sich von seinem Herzen leiten lassen. Ja, das war ein guter Plan. Sein Herz würde Richard finden. Nur die Liebe wäre dazu imstande. Und so begann er Lieder singend durchs Land zu ziehen und war sich sicher mit jedem Schritt Richard näher zu kommen.

Blondels Herz fühlte sich verständlicherweise zum Herzen des mutigen englischen Löwen hingezogen. Aber was war weiter geschehen? Was ist dann passiert? Warum erzählt man sich in Österreich und England und allen Ländern die dazwischen liegen Blondels Geschichte bis zum heutigen Tag? Die Antwort auf diese Frage begann man erst in den 1960er-Jahren zu verstehen als wieder englische Sänger auf Blondels Spuren wandelten. Vielleicht hatte es auch etwas mit den Kopfhaaren der Protagonisten zu tun. Wenn ein kreuzziehender Krieger mitten im zwölften Jahrhundert fern der Heimat und fern aller Barbiere übers Land zog, wuchs nicht nur das Heimweh in seinem Herzen, es wuchs auch sein Kopfhaar einschließlich des Bartes. Darum sah Richard bald aus wie ein ungekämmter Löwe. Ob also Löwenherz ein Ehrenname war, bleibt aus dieser Sicht zumindest fraglich. Und seine Mitreisenden werden auch nicht viel besser aus ihren Rüstungen geschaut haben. Und einer dieser Mitreisenden war der Sänger Blondel. Wenn ein unfrisierter Sänger sagen wir durch Deutschland zieht und sein Lied singt, beginnen die Leute sofort zu klatschen. Augenblicklich beginnen alle wie auf Kommando zum Rhythmus des Liedes zu klatschen. Daran erkennt der Künstler dass er in Deutschland ist. In Österreich ist das nicht so, da klatscht man erst nach Beendigung der Gesangsvorführung, dann aber auch nur wenn das Lied gefallen hat. Dass das englische Wort Mähnia von der Haarpracht abgeleitet ist darf an dieser Stelle behauptet werden. Sicher ist nur, dass der Sänger Blondel in Österreichs Landen berühmt wurde. Und wenn in unserem Land jemand berühmt ist, geht es ihm gut. Er muss seine Zeche nicht mehr selbst bezahlen, er wird von Tafel zu Tafel, von Fest zu Fest gereicht. Zwischen Wenia, dem heutigen Wien, und Treisma, dem Heutigen St. Pölten, wo damals das Kloster des Heiligen Hippolytus stand, gab es eine richtiggehende Blondelmania, wie das Wort heute geschrieben wird. Es öffneten sich ihm alle Tore, überall wurden für ihn Tische gedeckt, sodass niemandem der wahre Grund für seine Österreichtournee auffiel. Blondel suchte Richard mit seinem Herzen und seinem Lied. Er sag sein Lied nicht nur in Gasthäusern, er sang es praktisch überall, vor Kerkermauern, vor den dicken Mauern der stattlichen Burgen, überall wo man Richard Löwenherz gefangen halten konnte. Der Text war situationselastisch, die Melodie nach einer alten englischen Weise, die außerhalb Englands damals noch niemand kannte.

What would you think if I sang out of tune.

Could you stand up and walk out on me?

Lend me your ears and I’ll sing you a song

and I’ll try to bring you a key.

Genau die richtigen Worte für einen gefangenen englischen König. Aber nirgendwo hörte Blondel ein erhofftes Echo. kein Aufschluchzen hinter Gitterstäben, kein Aufjubeln hinter Steinmauern, nicht an der Wien, nicht an der March, nicht im Wienerwald, nicht am Wagram, nirgendwo. Bis er sich entlang des Nordufers der Donau durch die Wachau zu fressen begann. Der Wein war hier besonders gut und Burgen gab es haufenweise, also kehrte der Sänger oft ein um für eine gebratene Forelle und einige Becher Wein seine fremdländischen Gesänge darzubieten. Da geschah es.

Was aber weiter geschah, lesen Sie am besten direkt im Buch:

SAGENHAFTES aus dem WEINVIERTEL und den anderen Vierteln dieser Welt, erschienen in der Edition Weinviertel     ISBN: 978-3-902589-80-4

Erhältlich im Buchhandel oder im Onlineshop des Verlages

www.edition-weinviertel.at/shop/catalog/product_info.php?products_id=453