Madame Gu Kus Brutgeschäft

Leilach saß in der Nachmittagssonne, blickte weit ins Land und fühlte den Schlag ihres kleinen Herzens bis zum Hals. Dabei ließ sie, wie es so ihre Art war, ein affektiertes Kichern erklingen, >hach, hachhach<. Sie war nämlich auf die glücklichste Weise erregt. Sie war sich ganz sicher, kein Zweifel war möglich, er meinte sie,   >hach, hachhach<. Ja, Leilach hatte gut lachen, sie hörte ihren schönsten Traum wahr werden. Was sie von Kindesbeinen an herbeigesehnt hatte, war soeben wunderschöne Realität geworden. Sie wurde umworben von niemand geringerem als von Gu Ku. Und sie würde ihn nicht lange warten lassen, denn Gu Kus Ruf war tadellos klar und makellos laut, so laut, dass man sein Rufen im ganzen Revier hören konnte >Gu Ku – Gu Ku<.

In den letzten Tagen hatte er seinen Namen immer wieder und in immer kürzeren Abständen in die Welt geschrien, >Gu Ku – Gu Ku – Gu Ku<. Und jetzt war der Moment gekommen, in dem sie ihm folgen wollte, dem Ruf und dem guten Mann, beziehungsweise dem Mann wegen seines guten Rufes, aber das kam ja letztlich auf dasselbe heraus. Er würde sie heimlocken ins Nest und sie würde die glücklichste Madame des ganzen Waldes sein. >Madame Gu Ku<, wie sich das anhörte, >Madame Gu Ku<.

Ihr werdet jetzt womöglich sagen, wieder eine, die einem Schreihals auf den Leim gegangen ist, wieder so eine leichtfertige Person, die betrogen werden wollte. Aber erstens, was hat er ihr denn schon versprochen? Und zweitens, was ist schlecht daran glücklich zu sein? Leilach würde seine Lebensabschnittsgefährtin werden, sie würde mindestens ein Kind mit ihm haben, und was dann kommen würde, weiß der Kuckuck.

Der Rat Friedrich Schillers >Drum prüfe, wer sich ewig bindet,< fand bei Leilach aus mehreren Gründen kein Gehör. >Ob sich das Herz zum Herzen findet< war ihr nicht so wichtig, denn >der Wahn ist kurz, die Reu ist lang< hatte mit ihr und ihrem Lockvogel nichts gemein. Kuckucksuhren gehen anders. Sie singen das Lied der Promiskuität.

Und um noch einmal auf seinen Ruf zurückzukommen, er spielte mit ihr nicht Verstecken. Das hört sich nur für Menschenohren so an. Menschenkinder rufen oft >Kuckuck< weil es in ihren Ohren wie >guck guck< klingt, das hat aber nichts mit der Reputation dieses Vogels zu tun. Diese ist außerdem gar nicht einheitlich. Hören wir zum Beispiel einen Kuckucksmann rufen, fingern wir sofort nervös unsere Geldbörse hervor und schütteln sie, auf dass sie immer schön gefüllt bleibe. Seine Kinder aber bezeichnen wir als Mörder und seine Lebensabschnittsgefährtin als Schmarotzerin. Eine schöne Brut. Aber was heißt schon schön? Meinten nicht schon die alten Griechen, dass die Schönheit im Auge des Betrachters läge? Dann liegt es wohl an uns den Ruf des Kuckucks ins Licht zu rücken, ins rechte und ins linke, man muss ja immer auch die andere Seite sehen.

Zu diesem Behufe schauen wir wie es in der Geschichte von Leilach Gu Ku weiter ging. Wäre sie nämlich genau so weiter gegangen wie bis zu diesem Zeitpunkt alle Kuckucksgeschichten, hätte es sich ja gar nicht gelohnt sie aufzuschreiben.

Nach diesem lauen Nachmittag am Waldesrand dauerte es nicht lange und unsere graue Protagonistin war trächtig. Jetzt müsst ihr wissen, so eine frisch vermählte Kuckucksdame ist ja kein Standvogel, sie saß auch nicht den lieben langen Tag im Nest und wartete auf ihren Heimkehrer, nein, sie lebte eine offene Beziehung. Häuslichkeit ist nur ein Begriff des Menschen. Außerdem, wovon sollte sie leben, sie musste ja fressen und ihr Nest befand sich nicht im Schlaraffenland. Die bunten Raupen krochen ihr nicht von alleine in den offenen Schnabel, auch kein Käfer flog hinein. Sie drehte also brav ihre Runden, Trächtigkeit hin, Schwangerschaft her. Natürlich hatte sie geplant ihr Ei ins eigene Nest zu legen. Aber erstens kommt es manchmal anders als man zweitens geplant hat, und drittens geht es oft schneller als man glaubt. Ein Kuckuck   ist ja schließlich keine Uhr.

Etwa zur selben Zeit war auch Delilah, die Zaunkönigin, in anderen Umständen, das heißt eigentlich war sie in denselben Umständen. Ihr habt schon verstanden. Sie saß mit ihrem Mann, dem regierenden Zaunkönig, im royalen Nest und bemühte sich redlich seinen Erwartungen gerecht zu werden. Jetzt wisst ihr sicher von diversen Fernsehberichten und aus den Hochglanzjournalen wie man als Royal schon bei der Geburt auszusehen hat. Und er, der Zaunkönig, wusste es auch, also saß er da in seiner typischen Erwartungshaltung. Und wer spürte den Leistungsdruck? Naturgemäß sie. Die Sache mit der Erwartungshaltung muss ich noch erklären. Noch vor wenigen Tagen hatte er mit ihr einen kleinen Ausflug gemacht. Er setze sich mit ihr auf den Zaun einer nahen Hühnerfarm, einer Produktionsstätte von Bio-Freiland-Eiern, und genoss die Aussicht auf die fleißigen Produzentinnen. Sein Hintergedanke war natürlich ihr zu zeigen, was anderswo geleistet wird. Das Ergebnis seiner Bemühungen war ein Minderwertigkeitskomplex ihrerseits, der nicht von schlechten Eltern war, und die Sorge, dass er sie für eine schlechte Mutter halten könnte, sollten ihre Königskinder kleiner ausfallen als die der freilaufenden futterbedingt superfertilen Bio-Mütter. Und nun saß er direkt vor ihr und machte Druck.

Das war der Moment, in dem Leilach am Zaunkönignest vorbei flog, oder besser gesagt, vorbei fliegen wollte. Aber das Bild der beiden kleinen Vögelchen, die im selben Nest saßen und sich gegenseitig nicht aus den Augen ließen, rührte sie an. Es rührte sie so an, dass sie ihren Flug unterbrach, sich auf einen Ast in Sichtweite des Nestes setzte und fasziniert zu den beiden hinübersah. Dass es so etwas noch gab. Er nimmt Anteil an ihrem Leben. So etwas hatte sie bis dato nicht einmal bei Täubchen gesehen, geschweige denn am eigenen Leibe verspürt. A propos eigener Leib. Habt ihr schon davon gehört, dass schwangere Frauen den Zeitpunkt ihrer Niederkunft total falsch eingeschätzt haben, dass sie urplötzlich, mitten im schönsten Bummel im Shoppingcenter, oder unter der Haube eines Friseurs, Wehen bekamen? Habt ihr das schon einmal gehört? Leilach hatte keine Ahnung von Trockenhauben, sie wusste auch nichts von Einkaufszentren, sie wusste nur, dass sich etwas in ihr tat. Und sie wusste auch, dass sie ihr Ei nicht mehr bis zu ihrem eigenen Nest zurückhalten konnte, so plötzlich wie die Wehen einsetzten.

Wenn es Sie interessiert, wie diese Geschichte weiter geht, lesen Sie einfach in „VESELY’s wunderliche Naturgeschichten“ nach. Viel Vergnügen!