Wo die Beine der Schlange geblieben sind

Die Schlange galt nicht nur als das listigste unter allen Tieren des Feldes, sie war auch das rätselhafteste. Sie konnte einem stundenlang völlig unbewegt in die Augen schauen ohne mit einer Wimper zu zucken. Sie hatte Zeit. Sie hatte mehr Zeit als alle anderen Tiere auf der Welt. Vielleicht war sie sogar das älteste. Das wusste keiner. Immer wenn man glaubte, jetzt würde ihre Haut alt werden und runzelig, immer wenn man glaubte sie würde jetzt ihre Farbe verlieren, sprengte sie die alte Haut auf und glitt aus ihr heraus. Und dann stand sie da in strahlend schöner Jugend, glitzernd und bunt. Ob sie das ewige Leben hatte? Das wusste auch keiner. Die meisten Tiere des Feldes hielten sich vor ihr fern. Sie sprach nämlich mit gespaltener Zunge. Und sie konnte den Tod bringen. Wen sie biss, der war des Todes. Darum war sie auch das einsamste Tier des ganzen Feldes.

Aber sie fragte sich, 0b sie nicht einen Fehler gemacht hatte. Wenn sie doch nur die Zeit zurückdrehen könnte. Aber das war natürlich nicht möglich. Sie hatte vielleicht den Fehler ihres Lebens gemacht und hatte dabei verloren. Aber das Leben war weiter gegangen, die Sonne war nicht vom Himmel gestürzt und auch nachts strahlten noch alle Sterne. Die Vögel des Himmels flogen wie vorher, die vier großen Wasserströme rauschten wie zuvor, nur die einzigen Wesen, an denen ihr gelegen war, waren fort. Ob sie daran schuld war?

Das ging ihr den ganzen Tag durch den Kopf. Sie stellte sich immer dieselbe Frage, die Frage nach ihrer Mitschuld. Sie wusste im Nachhinein nicht mehr wie es gekommen war und warum sie eigentlich so gehandelt hatte. Damals war sie sogar sicher gewesen das Richtige zu tun. Sie hatte sich aber eingemischt. Und das hätte sie nicht tun dürfen. Sie hatte damals ihre Zunge nicht hüten können. Andererseits, ist nicht jeder für sich selbst verantwortlich? War sie die Hüterin dieser Menschen? Nein, die Menschen waren selbst schuld. Und es hat so kommen müssen. Es ging gar nicht anders. Genau so hat es kommen müssen. Sie selbst war nur ein Medium gewesen, sie war nur die Mittlerin der Botschaft gewesen. Früher oder später wären sie selbst darauf gekommen, so schlau wie sie waren. Aber nun waren sie fort, verbannt, ausgewiesen aus ihrer alten Welt. Ja genau so muss es kommen, wenn man zu schlau wird, wenn man den Fragen des Lebens auf der Spur ist. Das verträgt nicht jeder.

Die Gedanken der Schlange gerieten wieder in alte Bahnen. Was sie schon hundertmal gedacht hatte war am leichtesten nach zu denken. Und so dachte sie es wieder und wieder. Der Mensch und seine Frau hätten ihr ja nicht glauben müssen. Adam und seine Frau hätten einfach folgen sollen. Der Adam und diese Eva hätten die ihnen auferlegten Regeln einfach befolgen müssen, dann wäre nichts passiert. Sie wollten aber alles hinterfragen. Hinter jedes Geheimnis wollten sie kommen. Und sie hatte sie darin bestärkt. Sie hatte sie geradezu verführt ihren angeborenen Lebensregeln zu misstrauen. Der Mensch und seine Frau hätten ihr aber nicht glauben müssen. Die Gedanken der Schlage fingen sich wieder in einem Teufelsreis.

Die Sonne brannte seit Stunden unbarmherzig auf das Feld. Die Schlange musste den Schatten aufsuchen und fand unter der Krone eines Baumes eine angenehm temperierte Stelle im Gras. Hier war es gut. Ein Blick in die Krone des Baumes machte sie aber wieder nachdenklich. Konnte das der Baum sein, der gewisse Baum, unter dem all das geschehen war? Ja, das musste er sein. Das erkannte sie an seinen Früchten. Man erkennt die Bäume immer an ihren Früchten, und nicht nur die Bäume. Hier hatte sie damals das verhängnisvolle Gespräch mit der Frau geführt. Wie es ihr jetzt wohl ging? Eva saß damals an den Stamm des Baumes gelehnt und blickte zu den Früchten hoch als sie an ihr vorbei ging um ihrerseits nach Beute zu suchen. Ja, genauso war es, die Bilder entstanden wieder in ihrem Inneren, dazu musste sie nicht einmal die Augen schließen. Sehnsüchtig hatte Eva damals zu den saftigen Früchten hoch geblickt. >Nimm dir doch eine Frucht<, sagte sie damals zu ihr. >Nein<, antwortete Eva sogleich, >das darf ich nicht.< – >Was hält dich davon ab? Du bist groß, du kannst klettern, was hält dich ab?< – >Wir dürfen die Früchte dieses Baumes nicht kosten.< Die Schlange trat näher. >Wer sagt das? Wer darf so etwas sagen?< Eva hatte sonderbare Vorstellungen von den Regeln der Natur. >Der Herr hat es uns verboten, der Herr!< – >Was für ein Herr? Wer maßt sich an bestimmen zu dürfen, was du essen sollst und was nicht?< Die Worte der Frau waren für die Schlange rätselhaft. Was hatten sich die Menschen da wieder ausgedacht? >Bitte lass mich. Ich darf nicht und damit Schluss.< – >Warum darfst du nicht die besten Früchte essen? Darf ich das wissen?< – >Liebe Schlange, ich glaube du wirst das nicht verstehen können. Der Herr hat uns gewarnt diese Früchte zu essen, damit wir nicht sterben müssen.< Was soll das heißen, dachte die Schlange bei sich. Was muss ich da hören? Müssen diese Menschen denn nicht sterben so wie wir? Sind sie etwa unsterblich? Und Eifersucht stieg in ihrem Herzen auf, giftige Eifersucht, vielleicht sogar Neid. Und dieser Neid vergiftete ihre Worte als sie zur Frau sagte: >Paperlapapp, ihr werdet nicht sterben. Euer Herr weiß vielmehr, dass euch an dem Tag, an dem ihr davon esst, die Augen aufgehen werden und ihr wie Götter werdet, die Gutes und Böses erkennen.<

Ja, genau so sprach sie damals zu Eva. Genau so war das. Und gleich spürte sie wieder das Gift ihrer Worte auf der Zunge. Aber, sie schüttelte zweifelnd den Kopf, es war doch eigentlich nicht ihre Art so zu sprechen. Kamen damals diese scharfen Worte wirklich aus ihr? So sprach sie doch sonst nie. Entsprangen diese Worte ihrem eigenen Wesen? Sie zweifelte. Andererseits entsprang ja auch das Gift ihrer Zähne ihrem eigenen Körper. Dieses Gift konnte töten, das wusste sie, aber dass das auch ihre Worte konnten? Sie spürte wie ihre Stimmung umschlug. Und sie spürte wie plötzlich Zorn in ihr aufstieg. Und wutentbrannt zischte sie so laut sie konnte: >Was ist schlecht daran, Gutes von Bösem zu unterscheiden? Hörst du, unbekannter Herr? Ich frage dich, was ist schlecht daran?< Die Ruhe nach diesem Zornausbruch war gespenstisch. Und die Schlange war entsetzt. Jetzt wusste sie es genau. Hin und wieder hatte sie schon einen Verdacht, aber jetzt wusste sie es bestimmt. Die soeben gesprochenen Worte konnten nicht aus ihr sein, so wie es damals nicht ihre eigenen Worte gewesen sein konnten, welche Eva und ihren Mann so hart getroffen hatten. Und ganz leise zischte sie: >Wo bist du, du Einflüsterer du? Zeig dich, wenn du Mumm hast!< Und böse blickte sie um sich, ob er sich nicht irgendwo versteckt hätte, er, der ihr diese giftigen Worte in den Mund gelegt hatte. >Ich habe dich erkannt, du Einflüsterer du. Und jetzt komm hervor! Ich will es mit dir aufnehmen!<

Da regte sich plötzlich etwas im Gras. Keine fünf Schritt vor ihr hob etwas seinen kleinen Kopf. Es war aber nur ein Ziesel. >Hallo, liebe Schlange! Hast du mich gerufen?< – >Halt dich da raus, Ziesel! Dich habe ich nicht gerufen.< Das Ziesel trappelte mutig näher. >Aber, liebe Schlange, ich habe dich doch nach dem Einflüsterer rufen gehört und da bin ich.< – >Liebes Ziesel, glaube mir, dich suche ich nicht. Nur weil du gerne mit deinen Geschwistern Stille Post spielst bist du noch kein Einflüsterer.< Eigentlich hätte sich ein Ziesel vor der großen Schlange in acht nehmen müssen. Aber dieses Ziesel stand ruhig da und blickte der Schlange tief in die Augen. Und wie wir schon wissen, konnte eigentlich niemand dem Blick der Schlange standhalten, sie konnte länger starr blicken als alle anderen Lebewesen auf dem Feld. Doch jetzt musste sie dem Blick des lieben kleinen Ziesels ausweichen. Und das fragte weiter: >Welchen Einflüsterer meinst du aber dann?< – >Ich möchte den Einflüsterer kennenlernen, der damals durch mich das große Unglück über die Menschen gebracht hat, über diesen Adam und seine Eva. Den möchte ich nach dem Warum fragen.< – >Wo soll denn der wohnen? Weißt du das,< fragte das Ziesel und machte große Augen. >Man sagt, sein Reich sei unterirdisch, womöglich in einer großen Höhle.< Da trat das Ziesel noch näher an die Schlange heran und flüsterte mit Verschwörermiene: >Da hast du aber Glück. Ich kann dich in das unterirdische Reich führen<, dann warf es sich in die Brust, >ich bin ja auch ein Tier der Unterwelt.< Ja, so sprach das Ziesel und sah dabei die Schlange treuherzig an. Die großen Glubschaugen sahen immer treuherzig aus, egal was das Ziesel sagte. >Bist du sicher<, fragte die Schlange, >du schaust mir nicht aus als ob du den Eingang zur seiner Höhle kennen würdest, zu der Höhle in der das ewige Feuer brennt. >Oh jeh< sagte darauf das Zieselchen, >oh jeh, glaubst du wirklich dass dort ein ewiges Feuer brennt? Woher hast du das? Sollten wir nicht lieber nachschauen ob das überhaupt stimmt?< Die Schlange überlegte. Selbst sehen wäre wirklich nicht schlecht. >Nur solltest du aber wissen, liebe Schlange, dass man nicht so einfach in unterirdische Höhlen spazieren kann. Ihr Eingang ist meistens schmal. Bei der einzigen großen Höhle die mir im Moment einfällt ist er sogar so schmal, dass eher ein Gerechter durch ein Nadelöhr geht als durch dieses enge Tor.< Die Worte vom Gerechten und dem Nadelöhr klangen seriös in den Ohren der Schlange. Darum fasste sie Vertrauen zu dem kleinen Höhlenführer. Dass sich Ziesel in irdischen beziehungsweise unterirdischen Belangen auskannten war ja bekannt. Und so folgte sie dem Ziesel. >Du willst also den Herrscher des unterirdischen Reiches fragen, ob er dich benützt hat um die junge Eva zu verführen? Habe ich das richtig verstanden?< – >Du bist klüger als ich dachte. Ja, das will ich wissen, und wenn es so war, möchte ich wissen warum.< – >Ja warum wohl? Hätte er sich der Frau offen gezeigt, wäre sie ja stutzig geworden. Und du, liebe Schlange bist für deine Weisheit bekannt. Zu dir hatte Eva Vertrauen.< Das Ziesel hielt an und deutete auf ein winziges Loch in der Erde. >Das soll der Eingang sein? Da komme ich doch nie im Leben hinein, der ist doch viel zu niedrig für mich<, sagte die Schlange enttäuscht, >was machen wir denn da?< Das Ziesel strahlte die Schlange an: >Du hast wirklich Glück dass du mich getroffen hast. Ich kenne mich aus in diesen Gängen. Ich plaudere da drinnen oft mit jemanden den man den Hüter nennt. Ich werde einmal kurz ein Wort mit ihm wechseln.< Und ohne eine Antwort abzuwarten schlüpfte es in den niederen Gang und ließ die Schlange besorgt zurück.

Wenn es Sie interessiert, wie die Geschichte weiter geht, lesen Sie einfach in „VESELY’s wunderliche Naturgeschichten“ nach. Viel Vergnügen!