Aidan pfeift

Am Rande von Drum na Drochit lebte einst ein junger Mann mit Namen Aidan. Da er von feurigem Temperament war und überdies noch stark, trinkfest und sehnig, achtete man ihn im Dorfe sehr. Sein rötlich-blondes Haar hätte zwar hin und wieder einen kräftigen Kamm vertragen, doch da war kein Weib, das sich zugetraut hätte ihn zu striegeln. Aidan war das nur recht. Die Weiber sollten nur sehen wer und wie er war. Alle sollten das Feuer sehen, das aus ihm schlug.

Drum na Drochit lag direkt am wasserreichsten Loch des Landes und bedeutete im Gälischen, der Sprache seiner Einwohner, so viel wie „Bergkamm an der Brücke“. Aidan und seine witzigen Freunde hätten sicher „Darum kein Drachen“ zu diesem unscheinbaren Nest gesagt, wenn da nicht eine circa vierzigjährige Alte im Dorf lebte. Diese wäre, wie Aidan und seine albernen Freunde bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter lautem Gelächter zum Besten gaben, helle wie eine nordische Winternacht, scharmant wie Xanthippe und Mutter einer ebensolchen Tochter und war darum von den Junggesellen gefürchtet wie ein Priester. Die Alte hieß übrigens Ness.

All das muss ich vorausschicken damit ihr später, wenn ich euch den heutigen Namen dieses Sees nennen möchte, die Zusammenhänge leichter erkennen könnt. Damals hieß dieser Loch aber noch ganz anders, vielleicht nicht ganz anders, aber anders. Er hieß nämlich Loch, einfach Loch. Aber greifen wir nicht zu weit vor. Wir sind erst in der von allen Junggesellen des Dorfes als schrecklich und finster empfundenen Zeit, in der die alte Ness auf der Pirsch nach einem Schwiegersohn war.

Aber auch in Zeiten der Gefahr hat der Mensch das Bedürfnis nach Entspannung. Auch in Zeiten des Schreckens will er sich schöne Stunden machen, oder vielleicht gerade dann. Darum wunderten sich in Drum na Drochit am Loch niemand als eines Morgens der Ausrufer zu hören war. Dieser machte seine Runde durchs Dorf und rief zwischen heftigen Trommelschlägen: „Ihr Leute hört, hört her ihr Leut, was ich euch zu verkünden hab. Ihr Mädchen macht euch schön, ihr Burschen putzt euch raus. Heut Abend gibt es Tanz, heut Abend wird gefeiert. Am Dorfplatz spielt der Pfeifer auf. Zum Dorfplatz kommt ihr Leut, die Sorgen lasst zu Haus.“ Ja, so rief er, der Austrommler von Drum na Drochit am Loch und wusste dabei nicht was er dem Dorf damit antat.

Für Aidan war schon vor dieser lautstarken Ankündigung klar, dass er abends zum Dorfplatz kommen würde, er war nämlich nicht nur jung und feurig, er war auch der vom Ausrufer angekündigte Pfeifer. Ich weiß nicht, ob ihr schon einmal einen dieser Pipers, wie man diese Leute heute noch nennt, mit ihren Sackpfeifen gehört habt. Wenn nein, seid glücklich und froh. Was ich damit meine? Wie soll ich euch das erklären? Vor einigen Jahren war ich einige Tage im schottischen Edinburgh. Dort wurde ich Zeuge eines wahrhaft schrecklichen Ereignisses. Sehr zum Entsetzen aller englischen Touristen, die in dieser wunderschönen Stadt einfach ein paar nette Stunden verbringen wollten, versammelten sich zehntausend solcher Pipers um in einer schier endlosen Kolonne durch die Straßen der Stadt zu ziehen. Ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich vor Schreck erstarrte als diese wie zu einer Parade aufgereihten Pipers auf Kommando eines martialischen Befehlshabers losbrachen, ich kann es nicht anders ausdrücken, als alle diese Pipers plötzlich tobend laut pfeifend losbrachen, als all diese berockten Schotten mit ihren Pipes aus dem Nichts heraus ein mörderisches Getöse veranstalteten und losmarschierten um Edinburgh von allen Feinden zu säubern. Das Blut gefror mir in den Adern, mein Atem setzte aus und ich war heilfroh kein Engländer zu sein. Und da habe ich es begriffen: Der Dudelsack ist eine Waffe.

Aidans Waffe bestand aus einem Windsack, den er mit hochrotem Kopf über ein Anblasrohr füllte. Zwar nicht wie man glauben könnte mit Winden, ganz im Gegenteil, er tat dies mit der Ausatemluft, wie es auch Flötenspieler und Blechbläser zu tun pflegen. Der Piper bläst also seine eigene Atemluft in einen Sack und macht damit die Pfeife zum Instrument seiner Seele. Aidans flinke Hände konnten an guten Tagen, wenn er die traditionell einfältigen Melodien seines Tales in endlosen Schleifen wiedergab, über die Löcher der Spielpfeife fliegen wie ein Sperber über die Hecken. Sein linker Arm presste dabei den Windsack gegen sein Herz, was die einem Feueralarm ähnlichen Pfeiftöne erst so richtig zu einer Gefühlsdudelei machte. Aidan war dann die Seele des Dorfes.

Die Sache mit dem Feueralarm hatte aber damals in Drum na Drochit am Loch eine ganz spezielle Bedeutung. An diesem Abend wollte man nämlich Beltane feiern, das traditionelle Feuerfest zu Sommerbeginn. Nach Einbruch der Dunkelheit würde der Dorfälteste den Bewohnern den Auftrag erteilen ihre Herdfeuer zu löschen. Also von wegen Feueralarm. Keiner würde sich vor dem Ausbruch eines Feuers fürchten, man hätte höchstens Sorge, dass der alte Chef des Dorfes zu besoffen war den Feuerstein richtig zu schwingen um frisches Feuer zu entfachen. Genau das war aber seine verdammte Pflicht. Und keiner durfte ihm dabei helfen, selbst wenn er es selbst zuwege brächte.

Das Bier, dem an diesem Abend neben dem Feuer eine herausragende Rolle zukommen sollte, war bereits im Fass aus einem kühlen Keller Richtung Dorfplatz gerollt worden. Man hatte es nach Art der Region zusätzlich zum Hopfen auch noch mit Heidekraut gebraut. Die Leute im Dorf waren darin wahre Meister und das Produkt ihrer Bemühungen erfüllte sie mit Stolz. Dieses Bier gab es nur hier und heute würde es in rauen Mengen in ihre Kehlen fließen. Der Sommer konnte kommen. Auf ihn wollte man heute Abend so manchen Becher heben.

Aidan hatte sein bestes Zeug übergeworfen und seinen schönsten Kilt angezogen. Mit seiner Sackpfeife würde er dem ganzen Bimbamborium um das Feuer erst den richtigen Unterton verpassen. Die Frauen würden ihn in seiner feurigen Stärke wahrnehmen. Sie würden sich nach seiner Stärke sehnen und anschließend mit ihren Blicken verzehren. Es würde also sein wie immer. Die Magie der Musik, der Zauber der vom ihm in die Welt geblasenen Teufelsmusik würde heute Abend die Frauen und Mädchen verhexen. Eine von ihnen würde sein Lohn sein, wie immer.

Die alte Ness saß auf einem Schemel und betrachtete ihre Tochter Donella, die sich behäbig vor ihr drehte. Die strähnigen Haare standen dieser vom Kopf und das Kleid, ohnedies ihr bestes, hing kraftlos von den eckigen Schultern ohne von irgendwelchen weibstypischen Ausbuchtungen abgelenkt zu werden. Die etwas zu eng stehenden Augen blickten freudlos über die spitze Nase in das Gesicht ihrer Mutter: „Was soll ich bei diesem Fest? Nach mir dreht sich ja doch keiner um.“ – „Du hilfst mir beim Servieren der Haggis. Das hast du mir versprochen. Und bedenke, die Liebe der Männer geht durch den Magen der Lämmer, wie schon die Alten gesagt haben“, Ness zitierte gerne alte Sprüche, „und mich lass nur den Rest machen.“ Mit Donella war es ein Jammer. Keine Eigeninitiative. Wenn sie nicht wäre, hätte ihre Tochter wohl keine Chance auf einen Mann. Ness hatte, wie auch die andere Frauen des Ortes, Haggis für das Fest zubereitet. Auch Donella hatte ihren Teil dazu beigetragen. Sie hatte Steckrüben gekocht und auch Kartoffel, aber nicht zu weich, das mochten die Leute nicht so. Sogar die Mägen für die Haggis hatte sie vorbereitet, wenn ihr auch ein bisschen gegraust hat. Sie hatte es ihrer Mutter aber versprochen. Zuletzt hatte sie auch noch Leber, Lunge und Herz der geschlachteten Lämmer gekocht. Nur ihr Herz war nicht dabei.

Ein Dorf wie Drum na Drochit am Loch ist eine Welt im Kleinen. Da findet sich alles, was es auf der großen Weltbühne gibt, nur eben im überschaubaren Rahmen. Der unumschränkte Weltendominator hieß in Drum na Drochit Ennis. Das war praktisch, denn Ennis heißt in der Landessprache so viel wie Anführer. Es könnte natürlich auch sein, dass sein Name eine self fulfilling prophecy war. Wenn nämlich einer schon Ennis hieß, könnte er ja auch gleich einer sein. Wie dem auch sei, Ennis war der Chef, und der Mann der sich ihm zu widersprechen erfrechte war noch nicht geboren. Und da war Angus, der Dorfstier. Wenn wir schon mitten in der Etymologie stecken, kann ich es ja sagen, Angus hieß auch der für Schottland zuständige Gott der Liebe. Die Sache mit der self fulfilling prophecy habe ich ja schon erklärt. Der Bruder von Angus hieß Buzz, Bruder. Die Korrelation der im Namen steckenden Eigenschaft mit der Qualität ihres Trägers könnte damit im Zusammenhang stehen, dass die Dörfler ihre Kinder erst Jahre nach ihrer Verehelichung mit dem anderen Elternteil tauften. Dass erst Jahre nach der Geburt dieser Kinder geheiratet wurde, wird euch wohl nicht überraschen. Wie schon erwähnt, Priester wurden im Dorf gefürchtet. So liefen etliche Leute im Ort herum die als Kind einen anderen Namen trugen als später als Erwachsene. Angus zum Beispiel hieß früher Cailean, das Kind. Ich schweife ab.

Aber eines muss ich doch noch erwähnen. In Drum na Drochit am Loch war noch etwas wie überall. Die Männer gaben den Ton an …

… aber was das für Töne sind, lesen Sie am besten direkt im Buch:

SAGENHAFTES aus dem WEINVIERTEL und den anderen Vierteln dieser Welt, erschienen in der Edition Weinviertel     ISBN: 978-3-902589-80-4

Erhältlich im Buchhandel oder im Onlineshop des Verlages

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