Magie

Ein feiner Lufthauch wehte Geräusche der Nacht vom Wald her und strich um die Hütte. Drinnen stand mitten im Raum der Magier, gehüllt in seinen schweren Umhang, den Spitzhut auf dem Kopf. Es war Mitternacht. Die Stunde des Geistes war angebrochen.

Später wird man ergründen wollen, was diese Stunde von anderen unterscheidet, was sie zur Geisterstunde macht. Wenn es stimmt, dass unser Gehirn von Magnetfeldern in seiner Tätigkeit beeinflusst werden kann, wenn also sogar das Erdmagnetfeld ein Störfaktor für die Gehirntätigkeit ist, dann ist klar, warum um Mitternacht das Denken störungsärmer möglich ist. Die Feldlinien des Erdmagnetfeldes sind an der der Sonne abgewandten Seite unseres Planeten nicht so dicht beieinander. Deswegen schlägt um Mitternacht dem menschlichen Geist die Stunde.

Im September 2003 begann ich meine erste Physikstunde mit meiner Klasse so: »Ihr wart bisher der Meinung, die Abkürzungen Prof. und Mag. vor meinem Namen heißen Professor Magister. Das war ein Irrtum. Prof. Mag. bedeutet in Wirklichkeit ›Professioneller Magier‹. In der heutigen Physikstunde werde ich euch beweisen, dass ich tatsächlich magische Kräfte habe.« Daraufhin stellte ich mit feierlichem Gehabe eine leere Bierflasche auf den Tisch, legte eine befeuchtete Münze auf die Öffnung und umfasste die kühle Flasche mit meinen Händen. »Münze, hebe dich und tanze«, sprach ich mit fester Stimme, »tanze, tanze.« Nach kurzer Zeit, als die Luft in der Flasche genügend erwärmt war, um sich auszudehnen, hob sich die Münze einige Male. Nun wartete ich auf die Reaktionen aus der Klasse. Und wartete. Nichts geschah.

Es muss so um die 12. Stunde gewesen sein. Ob ein feiner Lufthauch das Schulhaus umwehte, fiel dem Vergessen anheim. Der Sonnenwind wird aber wohl die Feldlinien des Erdmagnetfeldes gegen die Erde gedrückt haben, dass es nur so krachte. Also Geisterstunde war diese Unterrichtseinheit wohl nicht.

Irgendjemand müsste doch eine Frage zu dieser Demonstration meiner Willensstärke stellen wollen. Das war doch in anderen Klasse bisher auch so. Müde Blicke streiften mich und die Flasche. Endlich ergriff Florian das Wort. Wir kennen ihn schon aus einer anderen Geschichte als Tröster mit der Faust: »Herr Professor, ich habe geglaubt, Sie trinken nur Zwettler Bier. Mein Vater sagt auch, das niederösterreichische Bier ist das Beste.« Nun ging es in diesem Versuch nicht um die Macht verschiedener Biersorten. Die SchülerInnen sollten erkennen, dass durch Experimente Thesen überprüft werden können. Um die Diskussion in Gang zu bringen, fragte ich, warum sich die Münze wohl gehoben habe. Da bekam ich von Angela die Behauptung zu hören: »Die Luft wollte heraus.« Ich vertröstete die Schülerin auf die siebente Klasse, in der im Unterrichtsgegenstand Psychologie über den freien Willen gesprochen werden würde, oder auf die achte, in der möglicherweise der Geist aus der Flasche am Programm stand. Es war aber an Kamila das Schlusswort in dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu sprechen: »Herr Professor, das ist halt so!«

Im Wort Magier steckt auch das Mögen und die Macht. Insofern war ich tatsächlich ein Magier. Ich mochte mit der Klasse etwas machen. Mag sein, dass meine Macht nicht ausreichte, sie Mögen zu machen.

Eine andere Klasse hätte ich aber beinahe von meinen außerordentlichen Kräften überzeugen können. Nach oftmaligen Wiederholungen im Biologieunterricht zum Thema Leben – Lebewesen – Tier – Pflanze, hatte ein Schüler immer noch nicht begriffen, dass Pflanzen Lebewesen sind. Ich forderte ihn daher auf, aus seinem Biologieheft ein Merkmal der Lebewesen vorzulesen. Er las: »Reagiert auf Reize«. Wie konnte ich ihm zeigen, dass das auch für Pflanzen gilt? Zufällig stand ein schmaler, säulenförmiger Kaktus in einem sehr kleinen Töpfchen auf dem Lehrertisch. Ich deutete der Klasse ganz still zu sein, schlich zum Kaktus, näherte mich ihm bis auf wenige Zentimeter und rief dann laut »WUH«, worauf der Kaktus umfiel. Nach der Stunde kam die kleine Lisa zu mir und sagte: »Gell, den hast du aber umgepustet!«